Tierärzte Dr. Samoilowa und Dr. Breuer im Interview über die Herpesimpfung
Wenn man an das Herpesvirus denkt, kommt vielen der große Herpesvirusausbruch in Valencia ins Gedächtnis und die daraus resultierende EHV-1-Impfpflicht für Turnierpferde in Deutschland. Seither wird die Impfung noch mehr diskutiert. Um Missverständnissen und Irrtümern entgegenzuwirken, haben unsere Tierärzte Dr. Samoilowa und Dr. Breuer im Interview häufig gestellte Fragen beantwortet.
Was genau sind Equine Herpesviren?
Dr. Breuer
Bei den Equinen Herpesviren handelt es sich um Viren, die das Pferd betreffen. Sie kommen weltweit vor. Von besonderer Bedeutung bei den Pferden sind die Equinen Herpesviren Typ 1 und Typ 4 (kurz: EHV-1 und EHV-4). Viren sind keine Lebewesen – das bedeutet, sie können sich nicht selbstständig vermehren, sondern sind auf lebende Zellen ihres Wirtes angewiesen. Viele Pferde stecken sich bereits sehr früh mit EHV an und tragen im Grunde lebenslang das Virus in sich. EHV-1 und -4 haben eine besondere Fähigkeit: Sie können sich in einen Schlummerzustand versetzen, die sogenannte Latenz. Erwacht das Virus, z. B. durch Stress, kann das Pferd einmal selbst erkranken, aber auch andere Pferde anstecken. Zu den Erkrankungen zählen Atemwegsinfektionen, Leistungsinsuffizienzen, Aborte und ‚die neurologische Form‘: die Equine Herpesvirus Myeloenzephalopathie. Kurz: EHM.
Was ist EHM genau?
Dr. Samoilowa
Die Equine Herpesvirus Myeloenzephalopathie (EHM) ist eine seltene, aber sehr dramatische Ausprägung einer Herpesviruserkrankung. Die aktuell auf dem Markt befindlichen Impfstoffe schützen vor den klinischen Ausprägungen einer Atemwegsinfektion sowie vor EHV bedingten Aborten. Ob ein Pferd nach einer Herpesvirusinfektion auch EHM entwickelt oder nicht, hängt von vielen (individuellen) Risikofaktoren ab. Zu diesen zählen beispielsweise das Alter oder auch das Geschlecht. Stuten und Pferde über 5 Jahre haben laut Studien ein höheres Risiko. Auch das Vorhandensein von Fieber erhöht das Risiko, eine EHM zu entwickeln, enorm. Ziel einer Impfung ist es, den Infektionsdruck zu senken und Infektionsketten zu durchbrechen. Daher gilt auch hier: Herpesschutz ist ein Gemeinschaftsprojekt und dies gelingt am besten mit einer Kombination aus gutem Hygienemanagement und der Impfung.
Was macht eine Herpesimpfung?
Dr. Samoilowa
Eine Herpesimpfung schwächt die klinischen Symptome und wirkt sich somit positiv auf das Einzeltier aus. Außerdem reduziert es die Virusausscheidung, senkt so auch den Infektionsdruck und vermindert folglich die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung für andere Pferde. Es sollten, wenn möglich, alle Pferde eines Bestandes geimpft werden, um eine stabile Herdenimmunität aufzubauen. Die ist auch für Nicht-Turnierpferde wichtig, denn jedes Pferd hat Kontakt zu anderen Pferden. Schätzungsweise tragen bis zu 90 % der Pferde Herpes in sich, welches sich durch Stress reaktivieren kann. Stress ist sehr individuell, dafür muss man nicht zwingend aufs Turnier: Stallwechsel, Koppelpartnerwechsel, Klinikaufenthalt etc. können da schon ausreichend sein.
Sollte man das Pferd impfen, auch wenn nicht alle Pferde im Stall geimpft sind?
Dr. Breuer
Ganz klar: Ja! Denn jedes geimpfte Pferd zählt. Zum einen mildert es für das Einzeltier die klinischen Symptome und zum anderen trägt jedes geimpfte Tier dazu bei, eine höhere Herdenimmunität im Stall aufzubauen.
Kann eine Herpesimpfung die Infektion auslösen?
Dr. Samoilowa
Nein! Bei einem Tot-Impfstoff ist das in der Impfung enthaltene Virus inaktiviert, es ist also nicht mehr in der Lage sich in den Zellen zu vermehren. Aus diesem Grund kann auch keine Erkrankung hervorgerufen oder ausgelöst werden.
Warum sind einige Pferdehalter:innen skeptisch gegenüber der Impfung?
Dr. Breuer
Einen Grund, bei der Herpesimpfung besonders skeptisch zu sein, gibt es eigentlich nicht. Dennoch kann ich es absolut nachvollziehen, wenn man sich als Pferdebesitzer:in mit dem Thema ‚Nebenwirkungen‘ auseinandersetzt. Ich denke, hier ist es sehr wichtig, dass wir in der tierärztlichen Beratung erklären, dass es bei Anwendung jeglicher Arzneimittel oder Impfstoffe zu unerwünschten Ereignissen kommen kann. Zudem ist es wichtig, die Unterschiede zwischen Impfreaktionen und Impfkomplikationen zu kennen. Ziel einer Impfung ist immer das Auslösen einer immunologischen Reaktion. Diese ruft auch physiologische Reaktionen des Körpers hervor, wie zum Beispiel lokale Schwellungen, Druckempfinden oder allgemeine Beschwerden wie Abgeschlagenheit oder eine leicht erhöhte Temperatur. Diese Erscheinungen sind in der Regel normale Impfreaktionen und sollten innerhalb von ein bis maximal drei Tagen nach Impfung wieder abklingen. Ist das nicht der Fall und die Beschwerden gehen darüber hinaus, spricht man von Impfkomplikationen. Hierzu zählen größere lokale Reaktionen wie zum Beispiel Abszesse, allergische Reaktionen oder ein anaphylaktischer Schock.
⏯️ Das Interview mit Dr. Samoilowa und Dr. Breuer auch als Video:
Was gibt es zu beachten, wenn Nebenwirkungen auftreten?
Dr. Samoilowa
Sollten beim Pferd nach einer Impfung eine unerwünschte Reaktion auftreten, sollte man zunächst Ruhe bewahren und den Tierarzt/die Tierärztin kontaktieren. Wenn Sie die Unterschiede zwischen einer Impfreaktion und einer Impfkomplikation kennen, wird es einem leichter fallen, den Zustand des Pferdes einzuordnen und zu entscheiden, ob es sich um einen Notfall handelt, bei dem der Tierarzt/die Tierärztin direkt kontaktiert werden muss, oder ob der Anruf doch noch etwas warten kann. Bei Unsicherheiten sollte dennoch der Tierarzt/die Tierärztin informiert werden, um den Fall konkret besprechen zu können. Grundsätzlich sind unerwünschte Ereignisse immer der zuständigen Behörde oder dem Hersteller zu melden.
Wie wird mit Nebenwirkungsmeldungen umgegangen?
Dr. Breuer
Die Wirksamkeit und die Sicherheit der von uns vertriebenen Arzneimittel steht für uns an oberster Stelle. Alle uns zur Kenntnis gekommenen unerwünschten Ereignisse, die im Zusammenhang mit der Anwendung eines unserer Arzneimittel gemeldet werden, werden sorgfältig aufgenommen, dokumentiert, bewertet und an die jeweils zuständige Arzneimittelbehörde gemeldet. Die durch Tierärzte und Tierhalter gemeldeten Nebenwirkungen gehen in die fortlaufende Analyse des Nutzen-Risiko-Profils der Produkte ein. Durch die Meldung von unerwünschten Ereignissen kann somit jeder einen Beitrag zur Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln leisten.
Wieso impft man so häufig bei der EHV-Impfung?
Dr. Samoilowa
Die Immunität nach einer natürlichen Herpesvirusinfektion ist nur von kurzer Dauer. Dies liegt mitunter auch an dem Erreger, mit dem wir es hier zu tun haben und seiner Fähigkeit eine Latenz auszubilden. Auch nach einer Impfung ist die Immunität nicht von langer Dauer und muss daher in regelmäßigen Abständen aufgefrischt werden. Eine Bestimmung der Antikörper sagt wenig aus, da fast jedes Pferd in der Regel schon einmal in Kontakt mit dem Herpesvirus gekommen ist und aufgrund dessen Antikörper hat. Eine regelmäßige, korrekte Grundimmunisierung und Wiederholungsimpfungen im Intervall von 6 Monaten sind nicht nur medizinisch wichtig, sondern auch Voraussetzung für die Teilnahme an deutschen Turnieren.
Kann die Grundimmunisierung beim Pferd durch falsche Impfintervalle verfallen?
Dr. Samoilowa
Die Immunität nach einer natürlichen Herpesvirusinfektion wie auch nach einer -impfung ist nur von kurzer Dauer. Daher müssen die Pferde nach ordnungsgemäßer Grundimmunisierung alle 6 Monate nachgeimpft werden. Wird dieses Intervall überschritten, muss man wieder neu grundimmunisieren, denn sonst läuft man Gefahr, ins ‚Leere zu impfen‘ und wiegt sich im falschen Sicherheitsgefühl.
Stimmt es, dass die Impfstoffe gegen das Equine Herpesvirus nicht weiterentwickelt wurden?
Dr. Samoilowa
Ja, das stimmt. Da wir es hier mit einem Herpesvirus zu tun haben, welches die Fähigkeit hat, eine Latenz einzugehen (daher in einen schlummernden Zustand verfällt) hat sich das Virus so gut wie gar nicht verändert. Eine Anpassung der Impfstämme, wie man es von der Influenzaimpfung kennt, ist daher nicht notwendig. Zumal es einen Impfstoff auf dem Markt gibt, der bereits die beiden relevanten Herpesvirus Typen 1 und 4 enthält.
Pferde impfen ist mit Kosten verbunden. Wie viel kostet mich eine Impfung?
Tierärzte und Tierärztinnen haben sich bei der Abrechnung ihrer Leistungen an eine Gebührenordnung zu halten. Im Rahmen einer Impfung gehört immer eine Allgemeinuntersuchung dazu, da nur gesunde Pferde geimpft werden sollten. Die Gesamtkosten ergeben sich dann aus der Allgemeinuntersuchung, den Anfahrtskosten, der Hausbesuchsgebühr sowie den Kosten für den Impfstoff und die Verbrauchsmaterialien. Der exakte Preis sollte mit dem Tierarzt/der Tierärztin besprochen werden. Eins ist aber sicher: Eine Impfung ist die beste Vorsorge und immer günstiger als eine Behandlung.
Mehr Informationen zum Thema Impfungen beim Pferd gibt es ab sofort im Podcast
Impfungen beim Pferd mit Dr. Christine Fuchs
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